NRW-Web:News/2011-10-16 - Staatstrojaner: Haben die Minister ihre Behörden nicht mehr im Griff?

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Staatstrojaner: Haben die Minister ihre Behörden nicht mehr im Griff?

Auch mehr als eine Woche nach der Entdeckung wirft der vom Chaos Computer Club (CCC) aufgedeckte Skandal um den Bundes- oder die Landestrojaner mehr Fragen auf, als die Verantwortlichen bisher an Antworten geliefert haben. So teilten Landesinnenminister Ralf Jäger und ein Polizeisprecher am vergangenen Donnerstag in der Sitzung des NRW-Innenausschusses mit, dass die Ermittlungsbehörden in NRW eine von der Firma DigiTask individuell programmierte Software geleast und verwendet hätten.

In den Datenbanken von Tenders Electronic Daily (TED) [1] finden sich zwar 11 Einträge für das Unternehmen DigiTask, jedoch kein Hinweis auf eine Ausschreibung oder Aufträge durch das Ministerium für Inneres und Kommunales oder das LKA NRW. Dafür aber vier Auftragsvergaben durch das Zollkriminalamt Köln, welches die Zentrale des deutschen Zollfahndungsdienstes ist. In allen vier Fällen ging es um Software oder Dienstleistungen rund um die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Die erste Auftragsvergabe erfolgte im Jahr 2008. Der oberste Dienstherr der Zollbehörden, Bundesfinanzminister Schäuble, hat sich zu den Vorfällen bisher überhaupt nicht geäußert.

„Nach meinem Kenntnisstand müssen alle Ausschreibungen dieser Art in der TED-Datenbank hinterlegt werden“, äußert sich IT-Experte Achim Müller von den Piraten NRW. „Entweder ist Minister Jäger von den ihm untergeordneten Dienststellen falsch informiert worden oder aber die Ermittlungsbehörden in NRW sind im Rahmen einer Amtshilfe von anderen Landes- oder Bundesbehörden versorgt worden.“ Diese Amtshilfe ist aber seit Wochenanfang vom Bundesinnenministerium und dem BKA immer wieder bestritten worden.

Bundesinnenminister Friedrich ist im Laufe der Woche durch weitere Ungereimtheiten aufgefallen. Erst am Dienstag hatte er die Bundesländer aufgefordert, die vom CCC enttarnte Software nicht mehr einzusetzen [2]. Jetzt verteidigt er die grundgesetzwidrigen zusätzlichen Funktionen des Trojaners in einem Interview mit den Worten: „Wir brauchen diese Nachladefunktion, um uns den normalen Updates auf dem Zielcomputer anpassen zu können.“ [3] Im gleichen Interview verniedlicht Friedrich die vom Landgericht Landshut als illegal festgestellte Ausspähung eines PC mit Hilfe des Trojaners [4] als „andere Rechtsauffassung.“

Auch die Zahl der durchgeführten Quellen-TKÜs bleibt weiterhin ein Rätsel. Landesinnenminister Jäger bezifferte die in NRW durchgeführten Aktionen auf insgesamt vier in den Jahren 2007 bis 2011. Polizeisprecher Jacobs schränkte aber gleichzeitig ein, dass er keine Informationen zu weiteren Überwachungen innerhalb NRWs habe, die von anderen (Bundes-)Behörden veranlasst worden seien. Mittlerweile verdichten sich die Hinweise, dass die Überwachungssoftware bundesweit in mehr als einhundert Fällen eingesetzt wurde [2][5].

Auf die nur amateur- und stümperhaft zu nennende Programmierung der von der Firma DigiTask gelieferten Software mit allen begleitenden Gefahren auch für unbeteiligte Dritte ist die Piratenpartei NRW bereits in früheren Pressemitteilungen incl. eines umfangreichen Fragenkatalogs an das Ministerium für Inneres und Kommunales eingegangen.

„Stellt man nun alle, teils sehr widersprüchlichen Aussagen der einzelnen Regierungsvertreter aus den vergangenen sieben Tagen gegenüber“, bemerkt Kai Schmalenbach, 2. Vorsitzender des Landesverbands NRW der Piraten, „dann kann man eigentlich nur folgende Schlüsse daraus ziehen: die zuständigen Minister bzw. Ministerien haben entweder die ihnen untergeordneten Behörden nicht im Griff oder aber die Bürger Deutschlands werden seit einer Woche systematisch über das Ausmaß dieses Skandals getäuscht, die Medien mit Nebelkerzen beworfen."

Der Landesverband NRW bekräftigt noch einmal seine Forderung nach einem unverzüglichen Stopp des Trojanereinsatzes und einer rückhaltlosen Aufklärung des Sachverhalts durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Einbeziehung des Bundes- und der Landesdatenschutzbeauftragten und anderer externer IT-Experten. Aufgrund der mehr als undurchsichtig zu nennenden Informationspolitik der verantwortlichen Ministerien dürfen mittlerweile auch personelle Konsequenzen nicht mehr ausgeschlossen werden.


Quellen:

17. Oktober 2011 06:15 Uhr